Im Jahr 2014 hat ein Film an den Kinokassen in Deutschland die meisten Ticketverkäufe generiert. Til Schweigers Komödie Honig im Kopf ist mit weitem Abstand der erfolgreichste Kinofilm des Jahres mit 7.274.964 Millionen Zuschauenden. Zugleich ist er damit auch einer der erfolgreichsten deutschen Filme überhaupt.
Doch wie sind die Filme Til Schweigers künstlerisch und qualitativ zu bewerten? Der Blick auf die Kategorie Bester Film (Deutscher Filmpreis) verrät, dass Schweigers Filmproduktionen (Barefoot Films) keine Berücksichtigung erhalten beim wichtigsten Filmkulturpreis in Deutschland. In den 1990er Jahren wurden Filme mit der schauspielerischen Mitwirkung Schweigers immerhin aber nominiert.
Wie soll demnach eine Beobachtung zum Gesamtwerk Schweigers ausfallen? Braucht es hier eine Filmanalyse oder Publikumsanalyse? Bei Kritikerinnen und Kritikern werden seine Filme stets herabgewürdigt. Berechtigt? Aus welcher filmtheoretischen Perspektive sollte man sich diesen Filmen dementsprechend annähern? Ein kurzer Abriss des filmischen Gesamtwerks kann dabei helfen, die aufgestellten Fragen anzugehen.
Phänomen Til Schweiger
Im Jahr 1991 startet Til Schweiger erstmals im Kino mit dem Kultfilm Manta, Manta sehr erfolgreich durch. Hier wird bereits ein Millionenpublikum (1.028.876) erreicht. Danach folgen noch erfolgreichere Filme in diesem Jahrzehnt. Der ertragreichste Film Schweigers in dieser Zeit und zugleich der meistbesuchte deutsche Kinofilm der 1990er ist Sönke Wortmanns Der bewegte Mann (1994) mit 6.609.349 Millionen Kinozuschauer/innen. Hier zeigt sich bereits früh, dass Schweiger die Menschen in den Kinosaal locken kann. Es folgen noch in den 90ern einige Kultfilme – darunter Action- und Roadmovies, die wieder ein Millionenpublikum hervorbringen können. Bereits die Filme dieser Zeit etablieren machohafte Figuren mit Darstellung von Dauerpotenz. In diesen limitierten Rollen kann Schweiger überzeugen. Auch beachtenswert: Ende der 90er führt Schweiger erstmals auch Regie (Der Eisbär – 1998) und versucht als Drehbuchautor hinter der Kamera auch zu überzeugen. Diese ersten Versuche sollen mit Gründung der eigenen Filmproduktionsfirma Barefoot Films im Jahr 2004 noch gesteigert und intensiviert werden.
Til Schweiger zog es dann von 1997-2004 in die USA. In deutschen Filmproduktionen war er weiterhin zu sehen, doch im Fokus war die Suche nach Erfolg in den USA. Aus dieser Zeit resultieren aber keine nennenswerten Filme mit größeren Hauptrollen oder Filme mit nachhaltiger Wirkung.
Ab 2004 galt die Konzentration wieder deutschen Filmen. Diesmal aber nicht einzig nur als Schauspieler. Ab 2005 produziert Schweiger mit seiner Filmproduktionsgesellschaft Barefoot Films Kinofilme im Jahresrhythmus. Dabei ist Schweiger vor und hinter der Kamera aktiv. Diese Filme aus den letzten 15 Jahren haben sich gegenwärtig wohl mehr in das Gedächtnis eingebrannt als noch die frühen Kultfilme der 90er Jahre.
Die Filme ab 2005 setzen dabei einige Motive aus den 90ern konsequent fort und steigern diese zu einer wertekonservativen „Schweiger-Welt“. So zeigen die Filme klassische wie veraltete Rollenbilder in zwischenmenschlichen Beziehungen von Frau und Mann. Schweiger ist der allseits potente Macher und Problemlöser. Das Filmgenre wird gewechselt und zeigt weniger Action, sondern Romantic Comedy mit Happy End im Stil amerikanischer Vorbilder. Dabei ist das Filmgenre Road Movie ein wiederholtes Motiv der Filme. Räumlich sind die Filme zumeist in der Großstadt in ausladenden Wohnverhältnissen des gehobenen Mittelstandes angeordnet. Die Figuren in der Schweiger-Welt haben wenig Sorgen und leben zumeist im Überfluss – was die Kamera in beeindruckenden Bildern eindringlich dokumentiert. Diese Werbespot-Ästhetik der Filme kann als Störung empfunden werden, doch sie sind gleichzeitig Ausdruck von handwerklicher Facharbeit. Die Schweiger-Filme sehen gut aus – das ist keine Frage. Sie sehen aber auch alle gleich aus. Die Handlungsorte und Figuren sind austauschbar. Was die Filme zudem auszeichnet, ist die Besetzung der Figuren. So wird jede noch so kleine Rolle mit hochkarätigen Schauspieler/innen besetzt. Die Figuren in den Filmen bleiben jedoch eindimensional, weshalb die schauspielerischen Potentiale nie auf allen Ebenen ganz entfaltet werden. Eine Mehrdimensionalität gibt es in den Filmen nicht oder gar moralisch ambivalente Figuren. Jede Figur ist eindeutig definiert in gut oder böse.
Die Barefoot Filme ab 2005 funktionieren auch wie in den 90ern an der Kinokasse. So dominiert Schweiger die Kinowelt in Deutschland seit über drei Jahrzehnten wie auch der Blick auf die erfolgreichsten deutschen Filme seit 1990 belegt:
https://www.insidekino.de/DJahr/DAlltimeDeutsch90.htm
Der Film Honig im Kopf von 2014 reiht sich demnach in diese schweigerischen Filmproduktionen ein. Die gleichen Motive werden bearbeitet. Doch im Vergleich wird hier diesmal ein gesellschaftlich ernsteres Thema verhandelt als nur die üblichen Liebeskonflikte von Großstadtbeziehungen abzuhandeln. Oder doch nicht? Ist das ernste Thema nur ein Vorwand – ein Blender – um die allseits bekannte Schweiger-Welt erneut zu demonstrieren?
Hochglanz im Kopf
Der Film steigt ein bei der Beerdigung der Ehefrau von Hauptfigur Amandus (Dieter Hallervorden). Bei seiner Rede ist der geistige Verfall sichtbar und der erste Verdacht, zunehmend unter Alzheimer zu leiden, bestätigt sich bald. Der Sohn Niko (Til Schweiger) holt ihn zu sich nach Hause. Seine Tochter Tilda (Emma Schweiger) baut dabei eine innige und herzliche Beziehung zu ihrem Opa auf. Nikos Ehefrau Sarah (Jeanette Hain) betrachtet die neue Wohnsituation als kritisch.
Wie in allen bisherigen Schweiger-Filmen werden die Figuren in gut und böse eingeteilt. Damit wird zugleich aufgezeigt, wie verschieden die Figuren auf einen Menschen zugehen und die Krankheit bewerten. Die Tochter zeigt hierbei das Idealbild des Verhaltens, indem sie ihrem Opa Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.
Die räumlichen Verhältnisse sind dabei erdenkbar vorteilhaft, indem die Familie eine pompöse Landhausvilla bewohnt samt malerischer Scheune auf riesigem Grundstück. In Sonnenlicht getränkte Felder, weitläufige Graslandschaften und später auch idyllische Bergformationen und Flüsse – mit Helikopter und Drone aufgenommen – strahlen eine wohlige Atmosphäre aus. Visuell reiht sich dieser Film in Schweigers bisherige Filmproduktionen demnach fließend ein. Die Hochglanzbilder sowie die rasante Montage ebendieser Bilder funktionieren dabei als Blender und lassen das Skript bzw. Drehbuch mit eindimensionalen Figuren in den Hintergrund treten. So wird der Film nie langweilig, da effektvolle Bildaufnahmen nahezu im Sekundentakt zu sehen sind. So wirkt der Film äußerst dynamisch und mitreißend, obwohl die Handlung es eigentlich gar nicht ist.
In diesem Hochglanz fällt es dementsprechend auch etwas leichter, mit der beginnenden Krankheit umzugehen. In einer nicht so optimalen Umgebung mit Wohnraumknappheit und tristen Alltagsgeschehen oder generell in einem finanziell weniger priviligierten Gebilde kämen die tatsächlichen Problemlagen innerhalb einer Familie im Umgang mit der Krankheit zum Vorschein. Doch Schweigers Film will diese Realitäten nicht zeigen.
Krankheit als Metapher
Das Happy End ist stets im Fokus. Doch wie soll ein schweres Thema in einem Schweiger-Film verhandelt werden? Hierbei fällt die Antwort leicht aus. Einige Themen werden schlichtweg ausgeblendet. So zeigt der Film auch nur die Zeit zu Beginn der Krankheit mit einem mildem Verlauf – nicht aber den realen, sehr drastischen Alltag im fortgeschrittenem Stadium der Krankheit mit denen Familien auf vielen Ebenen konfrontiert werden.
Der Film will das Kinopublikum demnach nur sehr dosiert mit einem schwierigen Thema „belasten“ und streift dieses im Grunde nur am Rande. Vielmehr geht es wieder einmal um das Aufzeigen der Potenz einer von Schweiger dargestellten Figur. Oder spielt er sich in seinen Filmen selbst? So erzählt der Film in einer Parallelhandlung von der Wiederbelebung der Beziehung des Ehepaars. Dabei steht zunächst ein Konflikt im Raum, denn nach einer Affäre mit ihrem Chef, scheint die Ehe von Sarah und Niko etwas brüchig zu sein. Nachdem sich die Tochter mit ihrem Opa nach Venedig kurzerhand aufmacht, findet das Ehepaar mehr und mehr wieder zueinander. Beide machen sich dann schließlich auch nach Venedig auf.
Die Krankheit ist somit nur ein narratives Sprungbrett, um wiederholt die übliche Story eines Films von Schweiger zu zeigen. Somit geht es im Film demnach auch nicht darum, die soziale Wirklichkeit von Familien in diesem Kontext abzubilden. Vielmehr geht es darum, die Krankheit – wie in vielen Filmen der Kinogeschichte allgemein – für dramaturgische Zwecke zu missbrauchen. Hierbei ist Venedig die ideale Kulisse, um die Ehe zu retten bzw. um sich im sehr edlen Hotelzimmer entsprechend nach der bewährten Methode Schweigers zu versöhnen.
Triebe im Kopf
Dass sich Tochter und Opa in Venedig aufhalten, ist auch nur ein Verdacht der Eltern. Die Sorge müsste eigentlich groß sein, wenn sich beide seit Tagen allein durchschlagen. Doch bereits die erste Nacht wird dazu genutzt, um Schweigers Potenz wiederholt zu dokumentieren. Die zufällig im gleichen Hotel im Nebenzimmer einquartierte Tochter sowie der Opa hören dann auch minutenlanges Stöhnen aus dem Nebenraum. Aus dieser ersten gemeinsamen Nacht des Ehepaares seit langer Zeit resultiert auch direkt ein Baby. Bei Schweiger ist eben jeder Schuss ein Treffer – egal wie bedrohlich oder misslich die Umstände sind.
Am nächsten Tag treffen sich alle zufällig bei einer Sitzbank am Wasser in der Stadt und erleben gemeinsam einen schönen Restaurantbesuch mit Blick auf die Kanäle Venedigs. Die Kamera fängt diese Szenerie traumhaft ein. Die Bilder könnten ästhetisch direkt aus einem aktuellen James Bond-Film sein.
Doch nach Venedig ist bald der narrative Zweck des Opas erfüllt. Die letzte Lebensphase zeigt der Film kaum mehr. Das Ehepaar ist wieder vereint. Noch bevor es nach Venedig ging, beschloss Sarah nicht mehr zu arbeiten, um sich der Familie zu widmen. Der Film entwirft aus einer feministischen Perspektive hier somit auch ein fragwürdiges Bild. Ein neues Leben ist aber entstanden. Das Baby wird geboren. Der Opa zeitgleich gestorben. Der Film begann und endet mit einer Beerdigung.
Schlussbetrachtungen
Honig im Kopf funktioniert also wieder nach den üblichen Motiven Schweigers. Doch bei diesem Film ist das metaphorische Denken viel ausgeprägter als in den sonstigen Produktionen. Die Krankheit ist hier nur der Auftakt für eine Story. Das Thema wird sehr unzureichend nähergebracht und prallt auf ein filmisches Schweiger-Narrativ bei dem ein Habby End im Fokus stehen muss.
Die Figur des Opas Amandus bleibt eindimensional und beschränkt sich auf einige platzierte Lacher und Kommentare. Eine mehrdimensionale Figur ergäbe sich, wenn der Film sich getraut hätte, ihn auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit zu zeigen. Alle weiteren Figuren bleiben auch eindimensional. Oder macht das Ehepaar denn tatsächlich eine größere Entwicklung durch? Alles wirkt hier eher so als wenn das Ehepaar nur eine kurze Sexpause eingelegt hat. Die Affäre bedroht auch nicht die Ehe, sondern nur kurzfristig die Männlichkeit der von Schweiger dargestellten Figur.
Der Film reiht sich deshalb in genrespezifische Konventionen (Romantic Comedy) ein bei denen das Kinopublikum mit Happy End in den Abend entlassen wird. Der Humor wirkt teils etwas überzogen und deplatziert. Das schwierige Thema soll damit eben leicht werden.
Aus strukturalistischer Perspektive gibt es visuell einige hochwertige Bilder zu beobachten. Til Schweiger bleibt sich visuell demnach treu und zeigt den Hochglanz. Zumindest aus erzählerischer Sicht traut der Film sich aber etwas, indem er auf das klassische 3-Akt-Schemata gänzlich verzichtet. So dauert es über 70 Minuten bis der Film schweigertypisch wieder on the road ist und die Figuren nach Venedig aufbrechen. Hierbei verpasst es der Film aber zugleich in diesem langen Vorlauf mehr über die Krankheit Alzheimer zu zeigen.
Aus historiographischer Sicht reiht sich der Film in gängige literarische bzw. filmische Traditionen ein, indem unter anderem das Ende in Venedig stattfindet. Das ist wieder ein Belege für den narrativen Stil, Krankheit als Metapher aufzuzeigen.
Eine soziologische Perspektive auf den Film kann eigentlich nur in maßloser Kritik enden. Hier wird eben nicht versucht, ein gesellschaftliches Abbild im Umgang mit der Krankheit Alzheimer vielschichtig darzustellen. Die Schweiger-Filme gestalten ja gerade ihre ganz eigene Welt – die Schweiger-Welt – und stellen nur wenig Bezug zu gesellschaftlichen Kontexten her. Vielleicht funktionieren die Filme auch deshalb so gut an der Kinokasse.
Aus biographischer, psychoanalytischer und feministischer Sicht wäre der Film noch gesondert zu analysieren. Motive wie die Darstellung von Potenz und Männlichkeit werden in allen Schweiger-Filmen abgebildet. Neue Diversitätsregeln bei Filmförderung und Streamingportalen könnten die flache und eindimensionale Schweiger-Welt neu bewegen. Demnach könnte sich auch das Kinopublikum neu bewegen, dass sich immer noch millionenfach Schweigers Filme ansieht.
Filmplakat
© Warner Bros
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